Podiumsdiskussion auf dem Jahrestreffen der Umweltalliance, Foto: L. Teschner

Jahrestreffen der Umweltallianz

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Wirtschaft und Politik im Dialog zur Kreislaufwirtschaft

Es ist kein Geheimnis: Abfall ist lรคngst kein Abfall mehr, er ist zunehmend eine Rohstoff-Quelle fรผr die Wirtschaft. Und nicht nur das โ€“ recycelt, leistet er einen wesentlichen Beitrag zum schonenderen Umgang mit natรผrlichen Ressourcen und so letztlich zum Schutz der Umwelt. Diese quasi im Abfall verborgenen Ressourcen durch neue Technologien effektiver zu erschlieรŸen, rรผckt auch global immer stรคrker in den Fokus. Und das ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Europa anstrebt, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein.

Welch enorme Reserven in diesem Thema auch hierzulande stecken und welche Strategien derzeit angezeigt sind, offenbarte einmal mehr das Jahrestreffen der Umweltallianz Sachsen-Anhalt dieser Tage in Leuna, die 220 Unternehmen unter ihrem Dach vereint. Die InfraLeuna รผbrigens ist seit 2004 Mitglied. Es stand unter dem Motto โ€žKreislaufwirtschaft โ€“ Chancen und Herausforderungenโ€œ.

Armin Willingmann (SPD), Minister fรผr Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt Sachsen-Anhalt, bezeichnete die Kreislaufwirtschaft als โ€žwichtigen Schlรผssel fรผr mehr Nachhaltigkeit und Zukunftsfรคhigkeit in Sachsen-Anhaltโ€œ. Was es brauche โ€“ und darauf dringt die Wirtschaft ganz energisch โ€“ sei Planungssicherheit auf dem Weg dahin. Zehn Jahre seien nun schon verstrichen, die verbleibenden 20 mรผssten besser genutzt werden, so Willingmann. Der Druck sei groรŸ.

Sogar sehr, wie die Vertreter der Wirtschaft verdeutlichten. Dr. Christof Gรผnther, Geschรคftsfรผhrer der InfraLeuna, sprach von einer โ€žรคuรŸerst unerfreulichen Entwicklungโ€œ, die sich unter anderem auch deutlich auf dem Markt fรผr Kunststoffe abzeichnet. โ€žEuropa war immer Exporteur. Heute sind wir von Kunststoffimporten abhรคngig. Das ist neu.โ€œ

Umso wichtiger sei das Thema Kreislaufwirtschaft/Recycling. Doch auch hier sei Deutschland nicht die Nummer eins. Die Resultate der komplexen europรคischen Regulierung seien unbefriedigend. Das bestรคtigte auch Thomas Obermeier, Ehrenvorsitzender der Deutschen Gesellschaft fรผr Abfall- und Kreislaufwirtschaft. Nur 15 Prozent der Materialien, die in Recyclinganlagen gehen, werden derzeit in Deutschland wiederverwendet.

Hier sieht er gewaltige Reserven:ย  Entbรผrokratisierung sei das eine, eine weitaus stรคrkere Rolle der Digitalisierung das andere. Hinzu komme, dass in Europa Anlagen zu Kunststoffrecycling geschlossen werden. Recyclate aus China sind billiger. Er plรคdiert dafรผr, alle Verfahren als gleichwertig zu betrachten. Entscheiden werde letztlich die ร–konomie. โ€žDas Wichtigste ist, Kohlenstoffdioxid zu substituieren.โ€œ Als herausragendes Beispiel nannte er da die Bioraffinerie in Leuna.

Was als Veranstaltung รผber Chancen und Herausforderungen in der Abfallwirtschaft angesetzt war, entwickelte sich schnell zum Disput. Wie sehr die Unternehmen derzeit unter Druck stehen, brachte IHK-Chef Prof. Thomas Brockmeier auf den Punkt. Wรคhrend der zustรคndige Staatssekretรคr Steffen Eichner Erwartungen an die Wirtschaft formulierte (langlebige Produkte, Reparatur, Recycling, weg von der Wegwerfgesellschaft), konterte er: โ€žDie Wirtschaft reagiert auf das faszinierende System Marktwirtschaft. Ein Unternehmen hat nur Erfolg mit dem, was dem Kunden Nutzen bringt.โ€œ

So entscheide letztlich auch bei der Frage โ€žWas ist uns Klimaneutralitรคt wert?โ€œ schlicht und einfach der Preis. Signale der Politik an die Wirtschaft sollten wirtschaftlich darstellbar sein. โ€žWir mรผssen dem Wettbewerb den Raum geben, den er braucht.โ€œ Er stimme Recycling- und Kreislaufexperten Obermeier zu, der Angst hat, dass Deutschland bei vielen Technologien zurรผckfรคllt. โ€žDie Technologie kennen wir, aber wir kriegen keine Fรถrderung auf die Schieneโ€œ, so Obermeier. IHK-Chef Brockmeier wartete da mit interessanten Beispielen aus Sachsen-Anhalt auf.

Aber die Experten widmeten sich auch Ausblicken. Es mรผsse wieder dahin kommen, dass andere Deutschland nacheifern. Aber, so Brockmeier, โ€žwir mรผssen auch mal stehenbleiben und gucken, ob uns noch jemand folgt. Wenn nicht, sind wir kein Vorbild, sondern ein irrlichternder Einzelgรคnger.โ€œ Und Carsten Franzke, Geschรคftsfรผhrer des Stickstoffwerkes Piesteritz, der in den zurรผckliegenden Jahren auch manch niederschmetternde Erfahrung gemacht hat, sagte: โ€žAlle gemeinsam, Politik und Wirtschaft, mรผssen den Weg beschreiten. Lasst uns zusammen vorangehen. Wir bilden das Mitteldeutsche Chemiedreieck und das ist was Besonderes.โ€œ

Zwar sei Leuna derzeit der einzige Chemiestandort in Deutschland, der wรคchst, stellte Infra-Chef Christof Gรผnther fest. Jedoch sei es besorgniserregend, wie enorm die Bestandskunden, โ€ždie uns stark machenโ€œ, unter Druck stehen.ย  Zwischen dem hohen Anspruch Deutschlands, Vorreiter zu sein, und der Realitรคt klafft eine groรŸe Lรผcke. โ€žTechnisch kann man viel, aber wenn es รถkonomisch nicht fliegt, findet es nicht statt. Wir mรผssen innovative Lรถsungen entwickeln, die aus sich heraus funktionieren und damit Geld verdienenโ€œ, so Gรผnther. Man dรผrfe nicht nur รผber Nachhaltigkeit reden, sondern auch รผber Wirtschaftlichkeit. Und zwar ohne, dass der Staat das Portemonnaie aufmacht. โ€žDie Chancen, die es zweifellos gibt, sollten wir nutzen.โ€œ So kรถnne Deutschland Vorbild sein. โ€žAber aktuell sind wir es leider nicht.โ€œ

Christine Fรคrber

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